2. Vom Gedanken zur Struktur
- fillaina
- 4. Juni
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Juni
Wie Donald Hebb und Eric Kandel die Grundlage für unser heutiges Verständnis von Lernen und Veränderung legten
Was bisher geschah: Neuroplastizität ist die Grundlage unserer Veränderbarkeit. In den ersten Lebensjahren bildet unser Gehirn ein Übermaß an synaptischen Verbindungen, die durch Erfahrung geformt und später selektiv stabilisiert werden. Diese neuroplastischen Fenster erklären, warum grundlegende Denk- und Verhaltensmuster so tief verankert sind – und warum spätere Veränderung daran anschließen müssen.
Veränderung ist allgegenwärtig
Wir erwarten sie von unseren Mitarbeitenden, von Organisationen – und nicht zuletzt von uns selbst. Aber wie realistisch ist das eigentlich? Wie verändert sich ein Mensch tatsächlich – auf biologischer Ebene?
Die Antwort darauf verdanken wir zwei Pionieren der Neurowissenschaft: Donald Hebb und Eric Kandel. Sie haben in Theorie und Experiment gezeigt, was im Gehirn passiert, wenn wir lernen – und warum Wiederholung, Erfahrung und emotionale Bedeutung der Schlüssel zu echter Veränderung sind.
Donald Hebb: Der Theoretiker neuronaler Plastizität
Bereits 1949 formulierte der kanadische Psychologe Donald O. Hebb in seinem Buch The Organization of Behavior eine revolutionäre Idee:
„Cells that fire together, wire together.“
Wenn zwei Nervenzellen wiederholt gleichzeitig aktiv sind, stärkt das ihre Verbindung.
Mit dieser These begründete Hebb die Theorie der synaptischen Plastizität: Lernen verändert das Gehirn, und zwar durch die Stärkung bestimmter neuronaler Verbindungen. Eine bahnbrechende Idee, die dem damaligen Bild vom Gehirn als weitgehend statischem Organ widersprach.
Eric Kandel: Experimenteller Beweis auf zellulärer Ebene
Was Hebb theoretisch beschrieb, konnte Eric Kandel Jahrzehnte später experimentell belegen.
Ab den 1960er-Jahren untersuchte er an der Columbia University in New York die einfach strukturierte Meeresschnecke Aplysia – ideal, um Lernprozesse auf zellulärer Ebene zu beobachten.
Kandels zentrale Befunde:
Wiederholte Aktivierung einzelner Synapsen erhöht deren Effizienz.
Langfristiges Lernen verändert die Struktur: Es entstehen neue Verbindungen, bestehende werden gestärkt.
Für Langzeitgedächtnis ist die Aktivierung spezifischer Gene und Proteinsynthese notwendig.
Kandel zeigte: Lernen ist ein molekularer Umbauprozess. Neue Informationen verändern nicht nur das Verhalten, sondern die Struktur des Gehirns selbst. Für diese Forschung erhielt er im Jahr 2000 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
Was heißt das für Veränderungsprozesse?
Lernen ist nicht allein eine kognitive oder psychologische Angelegenheit.
Es ist ein körperlicher, molekularer Prozess, der Zeit, Wiederholung und Relevanz braucht.
Die Lehren aus Hebb und Kandel:
Veränderung braucht wiederholte Aktivierung neuer neuronaler Muster
Ohne emotionale Bedeutsamkeit bleibt der Umbau flach
Für nachhaltiges Lernen müssen sich Synapsen reorganisieren – das passiert nicht durch einen einzigen Impuls
Und was bedeutet das für Führung?
Wer Menschen entwickeln will – sei es in Coachings, Führung oder Organisationsveränderungen – ist wirksamer, wenn er oder sie die Biologie des Lernens berücksichtigt.
Veränderung ist möglich. Aber sie ist nicht trivial.
Sie braucht sinnvolle Reize, Wiederholung und einen förderlichen Kontext.
Oder mit Hebb gesprochen:
Nur wenn neue Muster regelmäßig „feuern“, werden sie langfristig „verdrahtet“.
Weiterlesen?
In unserem nächsten Beitrag dieser Reihe beleuchten wir, wie kurzzeitige Impulse durch gezielte Prozesse in langlebige Gedächtnisspuren überführt werden.
Quellen
Hebb, D. O.: The Organization of Behavior: A Neuropsychological Theory. Wiley, 1949.
Kandel, E. R. et al.: The molecular biology of memory storage: a dialogue between genes and synapses. Science, 2001.
Kandel, E. R.: In Search of Memory: The Emergence of a New Science of Mind. Norton, 2006.



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